17.6.09

ISTANBUL-OFF-SPACES: Independent Art Spaces in Dialogue /Unabhängige Kunsträume im Dialog (Berlin)

Kemalism is a form of worship

Thirteen art groups are invited to the Istanbul-Off-Spaces exhibition, and their works on show represent the increasing number and growing influence of independent non-commercial artist collectives and art spaces in Istanbul. Some of them, like Nomad, xurban_collective or Apartman Project, can draw upon many years of experience concerning international exhibitions, whereas Daralan or Kurye represent the newcomer scene. The exhibition was prompted by the 20th anniversary of the town twinning between Berlin and Istanbul celebrated this year. It is funded by the Capital Culture Fund and the Art Space Kreuzberg/Bethanien.

With their works, the artists aim to track down social and political phenomena, and by temporarily taking up residence in Kreuzberg try to initiate a lasting dialogue, especially with the local cultural scene of second and third generation so-called "post-migrants“. Selda Asal and Serdar Ateser from Apartman Project, for example, are planning on producing a music video with school classes from the Kurt Löwenstein School in Berlin Neukölln, where more than 90 percent of the pupils are from a non-German background. Also, a poster by Hakan Akçura will be on exhibition that shows a faceless Mustafa Kemal Atatürk, thereby alluding to the fact that in Islam, graphic depictions of the Prophet Mohammed’s face are commonly forbidden. A light installation on the Bethanien building, on the other hand, refers to the Mahya, an illuminated religious message hung between the minarets of a mosque.

Meanwhile these and similar works have become the subject of discussion in several Turkish publications, and outline the increasing opening of contemporary visual art and its protagonists in Istanbul, the city that is fast becoming a global arts player and will be the European Capital of Culture in 2010.

Host Stéphane Bauer from the Art Space Kreuzberg/Bethanien and Berlin-based artist Sencer Vardarman are looking forward to welcoming the following artists: 5533, Apartman Project, 2+1, Artık Mekan, Atılkunst, Daralan, Hafriyat-Karaköy, Kurye, Masa Project, Nomad, Upgrade!Istanbul, Oda Projesi and xurban_collective.

ISTANBUL-OFF-SPACES

Independent Art Spaces in Dialogue
Places for social discourse and discussions about civil society
Exhibitions – Events – Art Education

Place: Art Space Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2, 10997 Berlin
Opening Hours: July 4 till August 16 2009, 12 – 7 p.m.
Admission: free
Opening: Friday, July 3, 7 p.m.,
Welcome Address: Dr. Franz Schulz, District Mayor Friedrichshain-Kreuzberg
Press Briefing & Preview: Friday, July 3, 11 a.m.; two artists per group will be present

Detailed information on the artists, their works on show and the independent Istanbul art scene
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ISTANBUL-OFF-SPACES – UNABHÄNGIGE KUNSTRÄUME IM DIALOG Orte des gesellschaftlichen Diskurses und der zivilgesellschaftlichen AuseinandersetzunG

Kuratoren: Stephane Bauer, Sencer Vardarman

Künstler: 5533 , Apartman Project , 2+1 , Artik Mekan , Atilkunst , Daralan , Hafriyat-Karaköy, Kurye , Masa Project , Nomad , Upgrade!Istanbul , Oda Projesi , xurban.net

Zur Ausstellung Istanbul-Off-Spaces sind dreizehn Künstlergruppen eingeladen, die mit ihren hier gezeigten Arbeiten stellvertretend für die steigende Anzahl und wachsende Bedeutung von unabhängigen, nichtkommerziellen Künstlerkollektiven und Kunsträumen in Istanbul stehen. Einige von ihnen wie Nomad, xurban_collective oder Apartman Project verfügen bereits über langjährige internationale Ausstellungserfahrung, während Daralan oder Kurye die Nachwuchsszene vertreten. Anlass von Istanbul-Off-Spaces ist das 20-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft Berlin-Istanbul, das in diesem Jahr gefeiert wird. Gefördert wird die Ausstellung aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds und des Kunstraums Kreuzberg/Bethanien.

Die Künstler wollen in ihren Arbeiten gesellschaftliche und politische Phänomene aufspüren und suchen mit ihrer vorübergehenden Verortung in Kreuzberg einen möglichst nachhaltigen Dialog vor allem mit der hiesigen kulturellen Szene der so genannten Post-Migranten der zweiten und dritten Generation. So planen Selda Asal und Serdar Ateser von Apartman Project eine Musikvideo-Produktion mit Schulklassen der Kurt-Löwenstein-Oberschule in Neukölln, deren Schüler zu über 90 Prozent nichtdeutscher Herkunft sind. Ausgestellt wird auch ein Plakat von Hakan Akçura, das einen gesichtslosen Mustafa Kemal Atatürk zeigt und damit auf das im Islam geltende Darstellungsverbot des Gesichtes des Propheten Mohammed anspielt. Eine Lichtinstallation am Gebäude von Bethanien wiederum bezieht sich auf die Mahya, eine illuminierte religiöse Botschaft, die zwischen den Minaretten einer Moschee aufgehängt wird. Diese und vergleichbare Werke sind mittlerweile Diskussionsgegenstand in verschiedenen türkischen Publikationen und illustrieren die zunehmende Öffnung der zeitgenössischen bildenden Kunst und ihrer Akteure in Istanbul, das sich mit großen Schritten auf die Rolle eines Global Art Players zu bewegt und im Jahr 2010 Europäische Kulturhauptstadt ist.

Die Gastgeber Stéphane Bauer vom Kunstraum Kreuzberg/Bethanien und der in Berlin lebende Künstler Sencer Vardarman freuen sich auf folgende Teilnehmer: 5533, Apartman Project, 2+1, Artık Mekan, Atılkunst, Daralan, Hafriyat-Karaköy, Kurye, Masa Project, Nomad, Upgrade!Istanbul, Oda Projesi und xurban_collective.

Diese Plakate Reaktionen aus der Türkei:

Eine Kunstausstellung in Istanbul gerät zwischen die Fronten von Islamismus und Kemalismus

Rana Göroglu

Berliner Zeitung, 20.11.2007

Hafriyat” heißt so viel wie “Baustelle”, aber auch “Ausgrabung”. Es ist zugleich der Name einer der ersten und bis heute wichtigsten unabhängigen Künstlergruppen der Türkei. Als sie sich vor rund zehn Jahren zusammenschloss, gab es in der Türkei so gut wie keinen freien Kunstmarkt. In diese Lücke ist “Hafriyat” gestoßen, mit dem Ziel, die Selbstzensur zu durchbrechen und jungen Künstlern eine Plattform und ein Experimentierfeld für neue Ausdrucksformen zu bieten.

Mit den Reaktionen, die ihr jüngstes Projekt, eine Posterausstellung mit dem Titel “Allah Korkusu” (Gottesfurcht), ausgelöst hat, hatte keines der zwölf “Hafriyat”-Mitglieder gerechnet. Allein aufgrund des Titels wurde sie zunächst von der islamistischen Zeitung “Vakit” angegriffen. Es gehe der Gruppe nicht um die Kunst, sondern nur darum, zu provozieren und religiöse Gefühle zu verletzen, behauptete die Zeitung am 5. November – fünf Tage vor der Ausstellungseröffnung, ohne eines der Bilder gesehen zu haben. “Zu diesem Zeitpunkt stand die Auswahl der Poster noch gar nicht fest”, sagt die Ausstellungskoordinatorin, die namentlich nicht genannt werden will.

Die schicke und ganz in weiß gehaltene, zweigeschossige “Hafriyat”-Galerie sticht mit ihrer großen Glasfront deutlich aus den sie umgebenden grauen und baufälligen Steinhäusern heraus. Sie liegt an einer viel befahrenen Straße mitten in Karaköy, einem alten Handwerker- und Hafenarbeiterviertel am Goldenen Horn. Die Koordinatorin erzählt, der Besitzer eines benachbarten Geschäftes habe sie kurz nach Erscheinen des “Vakit”-Artikels informiert, zwei bärtige Männer seien zu ihm gekommen und hätten ihm gesagt, dass die “Hafriyat-Karaköy”-Galerie bald schließen werde. Die Drohung wurde verstanden. Einige der eingeladenen Künstler zogen ihre Teilnahme an der Ausstellung bereits vor deren Eröffnung zurück.

Zwischen zwei Lagern

“In der Türkei ist es nach solchen Drohungen schon zu Übergriffen und sogar Morden gekommen. Deshalb waren wir gezwungen, uns, und vor allem die Besucher der Ausstellungseröffnung zu schützen”, so die Ausstellungskoordinatorin. Nachdem ein privater Sicherheitsdienst gesagt hatte, dass er keinen ausreichenden Schutz gewährleisten könne, wandten sich die Künstler an die Polizei. Das wurde ein Eigentor: Die Polizei nahm nun ihrerseits Anstoß an der Ausstellung – insbesondere an drei Postern, die die Würde des türkischen Staatsgründers und Gralshüter des Laizismus, Mustafa Kemal Atatürk, herabsetzen würden.

Dies könnte der Polizei zufolge auf ein Poster des Künstlers Hakan Akçura zutreffen, das Atatürk ohne Gesicht zeigt – eine Anspielung auf das Verbot, den Propheten Mohammed abzubilden. Ebenso wurde das Poster einer Frau mit Kopftuch beanstandet, die ein Atatürk-T-Shirt trägt, sowie eines, dass den Staatsgründer in verschiedenen islamischen Gebetsposen zeigt. Letzteres wurde vom Künstler inzwischen abgehängt. Dennoch prüft die Staatsanwaltschaft bei allen drei Postern, ob sie einen Gesetzesvorstoß darstellen und eine Strafanzeige nach sich ziehen werden.

Islamismus auf der einen Seite, Atatürkismus auf der anderen – das sind nicht nur die zwei großen Lager, die sich in der Türkei seit Jahren so erbittert gegenüber stehen, sondern auch zwei der größten Tabus. Es war das Ziel der Ausstellung, die damit verbundenen Mechanismen der Angst und Unterdrückung humorvoll in Frage zu stellen, sie künstlerisch zu durchbrechen – etwa mit der Parole “Verzeih mir lieber Gott, dass ich an dieser Ausstellung teilnehme!” auf einem Poster. Nun hat man beide Lager aufgebracht, wenn auch mit unterschiedlichen Werken: Der gesichtslose Atatürk, unter den der Künstler geschrieben hat, dass Kemalismus eine Form der Gottesanbetung sei, wurde von der islamistischen Zeitung “Vakit” lobend erwähnt.

Besucherinnen im Kopftuch

“Die Reaktionen auf die Ausstellung zeigen, in was für einer paranoiden Gesellschaft wir leben und wie eingeschränkt die Freiheit des Ausdrucks noch immer ist. Ich glaube, es wird noch lange dauern, bis sich das ändert und man wirklich entspannt arbeiten kann”, sagt eine der “Hafriyat”-Künstlerinnen, die anonym bleiben will. Der Maler und “Hafriyat”-Mitgründer Antonio Cosentino ist zuversichtlicher: “Es gibt Mechanismen wie den Paragraphen 301″ – er stellt Beleidigung des Türkentums unter Strafe – “die angewandt werden, um Kulturschaffende aller Art zu unterdrücken. Aber letztlich ist es niemandem gelungen, die Ausstellung zu verhindern. Und das ist das Wichtigste, denn damit haben wir unser Ziel erreicht, unsere künstlerischen Ideen zu dem Thema der Öffentlichkeit zugänglich zu machen”.

Inzwischen sind etliche Berichte über die Ausstellung in den türkischen Medien erschienen, die meisten davon sind relativ neutral ausgefallen. Nicht so in der “Vakit”, die noch einmal nachgelegt hat und die Ausstellung nicht als “dänische” sondern als “lokale Provokation” bezeichnete – was, wie zwischen den Zeilen zu lesen ist, eigentlich noch viel schlimmer sei. Der Medienrummel ist der Gruppe inzwischen über den Kopf gewachsen, auch wenn die Ausstellung dadurch einem breiteren Publikum bekannt geworden ist. So kommen jetzt auch Frauen mit Kopftuch in die Galerie, um sich die Poster anzusehen. Die meisten von ihnen, so Cosentino, hätten auf Nachfrage gesagt, dass sie sich nicht durch die Bilder verletzt fühlen.

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