Die Ausstellung "Istanbul-Off-Spaces" stellt unabhängige Gruppen und Projekträume der türkischen Kunstszene vor
Irmgard BernerBerliner Zeitung
21.07.2009
Komm auf den Punkt - wie oft möchte man nicht diesen Satz gen Himmel schreien. Und nun leuchtet er in Großbuchstaben hoch oben zwischen den Türmen des Künstlerhauses Bethanien in den Kreuzberger Nachthimmel, und zwar auf Türkisch: "Sadede Gel". Für die türkische Nachbarschaft sind solche Botschaften geläufige Sprüche, da sie in muslimischen Ländern während des Ramadan als Lichterketten zwischen Minarette gespannt werden.
Die Künstlergruppe atilkunst aus Istanbul sendet hier aber nicht nur eines ihrer markanten "public images" in den offenen Raum, sondern setzt mit dieser traditionellen Form der Botschaftsvermittlung ein gesellschaftspolitisches Signal. Und gibt den spielerischen Auftakt zum Dialog in der Ausstellung "Istanbul-Off-Spaces" im Kunstraum Kreuzberg. Atilkunst ist eine von vierzehn Gruppen und unabhängigen Kunsträumen, denen hier eine äußerst aufschlussreiche Plattform geboten wird.
Die eine Seite des Dialoges dieser Off-Spaces beruht darauf, dass Künstler in Istanbul sich zusammentun und gegenseitig voneinander lernen. Sie bündeln ihre Produktionskräfte und setzen die Kollektiv-Vernunft gegen das bis zur Verzweiflung lähmende Kunst-Establishment ein. Die so entstandenen Projekträume haben sich in den letzten Jahren zu wichtigen Orten des gesellschaftlichen Diskurses herausgebildet. Der Auftritt der Kunst wirkt dabei wie eine Initialzündung. Denn diese Räume, so klein sie auch sein mögen, werden oft zu einem Treffpunkt für Wissenschaftler, künstlerische Initiativen und Organisationen.
In Bethanien zeigen sie nun ihre Gegenentwürfe für eine interdisziplinäre Kunstpräsentation, die mutige Reibungsflächen in einem nach wie vor repressiven Klima einer sich als Einheitsstaat definierenden Türkei bieten. Schon im breiten Flur durchläuft man einen Bilderkosmos zum Thema "Gottesfurcht". Grafiken und Schriftbilder weisen darin auf die seit Menschengedenken zum Machterhalt produzierte Angst hin. Diese Plakatsammlung von 2007 stammt von der Künstlergruppe Hafriyat, die in einem kleinen Ladenlokal im Istanbuler Hafenviertel Karaköy - jenseits des kommerziellen Dunstkreises der konservativen, von Banken und Institutionen getragenen, offiziellen Kunstszene - zwischen Autowerkstätten und Bordellen ihren Raum betreibt. Die laufenden Kosten kann die Gruppe dank der Mitgliedsbeiträge und engagierten Unterstützung aus der Nachbarschaft wie Apotheken, Nachtlokalen und Produktionsfirmen bestreiten und so ihre Unabhängigkeit bewahren.
Wie diese unabhängigen Initiativen der Off-Kunst arbeiten, welche Ziele sie verfolgen - auch im Vergleich zu geförderten Kunsträumen in Berlin - wird anhand von Bildern, Texten, Videos und Installationen nachvollziehbar. Das Apartment Project, von der Videokünstlerin Selda Asal 1999 gegründet, arbeitet auf der Basis von Workshops und Performances. Asal hat in Berlin bereits mit Schülern des Löwenstein-Gymnasiums in Neukölln ein musikalisches Videoprojekt entwickelt. Ihre aktuelle Arbeit in der Ausstellung heißt "Gegenbesuch", eine Aktion, an der sich zehn türkische Künstler beteiligten. In Großprojektionen zeigen sie ihre Reisen nach Georgien, Armenien und Iran, die sie gerade wegen der heiklen Situation dieser Länder unternahmen. Die Filmsequenzen führen den brisanten Hintergrund vor Augen: türkischen Staatsbürgern ist es verboten, in ihr Nachbarland Armenien einzureisen - und umgekehrt. Die Künstler nutzten den Brauch des "Gegenbesuchs", der in diesen wie in arabischen Ländern nachbarschaftliche Beziehungen fördert, als kulturelle Gegenmaßnahme und konnten so Einreiseverbote und Grenzmauern aufheben.
Die andere Seite des Dialogs in dieser Ausstellung ist in der Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Istanbul begründet, die bereits ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Man kann es nicht hoch genug bewerten, dass der Austausch mit den wenigen vorhandenen Künstlergruppen gepflegt und ein anderes Bild als der übliche Zerrspiegel vom Land am Bosporus vermittelt wird. Im Unterschied zu Berlin bieten die Istanbuler Projekträume aber keine Sprungbretter für angehende Künstlerkarrieren, sondern Aktionsfreiräume und Plattformen für politische Inhalte, gesellschaftlich tabuisierte Themen wie Schwulen und Lesben oder "Frau und Stadt". Und dazu reicht schon mal ein Schaufenster, wie der Raum Artik mekan mit gerade mal zwei Quadratmetern beweist, den die Künstlerinnen Gonca Sezer und Yesim Agaoglu in einem alten Teehaus ebenfalls in Karaköy betreiben. Denn "auf den Punkt kommen" kann man auch in den winzigsten Räumen.
Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2 (Kreuzberg). Bis 16. August, täglich 12-19 Uhr.